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[Die echte Modets Blaise] [Modestys Tod] [Exklusivinterview mit Kent Hedlundh]
[Interview mit Dr. Thomas Wörtche anlässlich der Neuausgabe der MB-Romane]
Peter O´Donnell in einem Feature von www.crimetime.co.uk:
Peter O´Donnell: (…) Wir aßen gerade unter unserem aufgespannten Tarnnetz zu Mittag, als eine kleine Gestalt in einem verblichenen Kleid auftauchte, das ihr bis knapp über die Knie reichte. Auf dem Kopf trug sie ein kleines, in ein Stück Bettlaken gewickeltes Bündel, und irgendetwas baumelte ihr von einer Schnur, die sie sich um den Hals geschlungen hatte, auf die Brust. Es war schwer zu erkennen, denn sie war noch zwanzig Schritte weit entfernt, als sie uns sah und stehen blieb. Sie musterte unsere Gruppe sorgfältig, als wolle sie sich erst über uns klar werden.
Wir riefen ihr ein paar beruhigende Worte zu (…) Nach ein oder zwei Sekunden ließ das kleine Mädchen den Blick am Flussufer entlang wandern, vermutlich auf der Suche nach einem geeigneteren Ort, aber dann verzog sie sich an eine schattige Stelle unterhalb des Felsufers und setzte ihr Bündel ab. Sie machte mich neugierig, denn obwohl sie schwarze Haare hatte und tief gebräunt war, schien sie kein arabisches Kind zu sein. Ich kann das schwer beschreiben, aber sie wirkte einfach nicht wie eines der vielen arabischen Kinder, die wir während unserer Zeit in Persien und dem Irak gesehen hatten. Ich bat Jack, noch eine Dose Fleisch heiß zu machen, und bei der folgenden Unterhaltung stellte sich heraus, dass wir alle denselben Eindruck hatten – dieses Kind gehörte vermutlich zu den Flüchtlingen aus dem Balkan, die alle Mitglieder ihrer Gruppe oder Familie verloren hatten. Falls das stimmte, war es sicher schon vor langer Zeit geschehen, denn das Mädchen war offenbar sehr unabhängig, ans Alleinsein gewöhnt, vorsichtig, aber nicht ängstlich, und erwartete von niemandem Hilfe.
Während unseres Gesprächs ging sie knietief ins Wasser und bückte sich, um Gesicht und Hände zu waschen und sich den Staub von den Beinen zu spülen, während sie die ganze Zeit versuchte, uns scharf im Auge zu behalten, ohne uns direkt anzusehen. Sie verbrachte mehrere Minuten im Fluss, vornübergebeugt ihr langes Haar mit den Fingern kämmend, bis sie es mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammenband. Als sie wieder herauskam, setzte sie sich in den Schatten, band ihr Bündel auf und nahm etwas heraus, das in dünnen Stoff eingewickelt war. Sie schlug den Stoff zurück und fing an zu essen, was sich darin befand – Chapattis, vermuteten wir, aber es war auf die Entfernung schwer zu sagen.
Jock füllte das heiße Dosenfleisch in ein Essgeschirr, tat einen Löffel und ein paar Biskuits dazu, füllte einen Becher mit Tee aus unserer Kanne und ging auf sie zu, wobei er so etwas sagte wie: "Hier, Kleine, jetzt gibt's gutes Futter und was zu trinken." Das Mädchen sprang auf die Füße, packte ihr Bündel und wich zurück, jederzeit bereit wegzurennen. Alle unsere Streitkräfte im mittleren Osten hatten ein paar Worte Arabisch aufgeschnappt, (…) also blieb Jock stehen, als er sah, dass das Mädchen fortlaufen wollte, und wir riefen alle: "Stanna, stanna, bleib stehen!" Und versuchten sie mit – wie wir hofften – beruhigenden Gesten umzustimmen.
Am Ufer des Flusses, etwa auf halbem Weg zwischen uns und dem Mädchen, war ein flacher Stein und Jock stellte das Essgeschirr und den Tee darauf ab. Dann winkte er ihr, deutete auf den Felsen, kehrte zu uns zurück und setzte sich. Das Mädchen musterte uns eine Minute lang nachdenklich, dann setzte sie ihr Bündel ab und ging langsam zu dem Felsen. Dort betrachtete sie einen Augenblick unsicher das Fleisch und den Tee, deutete dann darauf und anschließend auf sich selbst, wobei sie etwas in einer fremden Sprache sagte, das eindeutig eine Frage war. (…) (Wir) bedeuteten ihr in der Gebärdensprache zu essen. Das Mädchen legte die Hände vor der Brust zusammen, neigte kurz den Kopf, dann griff sie nach dem Essgeschirr, setzte sich auf den Felsen und fing an zu essen. Wieder fiel mir der Gegenstand auf, den sie um den Hals gehängt hatte, aber ich konnte immer noch nicht erkennen, was es war.
(…) Dann stand sie auf und tat etwas, das uns überraschte. Sie nahm das Essgeschirr, Löffel und Becher zum Fluss und spülte sie ab. Mit nassem Sand geht das hervorragend, sogar wenn das Wasser kalt ist, er nimmt das ganze Fett weg. Als sie fertig war, stellte sie die Sachen wieder auf den Felsen, wiederholte ihre Dankesgeste und setzte sich mit dem Rücken zum Felsufer wieder in den Schatten.
(...) Ich zeigte ihr die Funktion des Dosenöffners am Boden einer der leeren Dosen. (…) Der Öffner war vom alten Hebeltyp und ich bediente ihn mit übertriebenen Bewegungen, während ich das Mädchen beobachtete. Sie sah genau zu, und da sie jetzt näher war, konnte ich erkennen, dass das Ding, das sie wie einen Anhänger um den Hals trug, ein kurzes Stück Holz war, an dem mit dünnem Draht ein langer Nagel festgebunden war, der gute fünf Zentimeter aus dem improvisierten Heft hervorragte. Es war eine Waffe, eine simple Waffe – und mich fröstelte bei dem Gedanken, was sie auf den Gedanken gebracht hatte, sich verteidigen zu müssen.
(…) Sie stellte die Übungsdose auf den Felsen und versuchte, die Spitze des Öffners hineinzutreiben, wie ich es ihr gezeigt hatte, aber sie hatte nicht genügend Kraft im Handgelenk. Nach zwei Versuchen nahm sie einen kleinen Stein und hämmerte den Dosenöffner hinein.
(…) Langsam und vorsichtig hebelte sie den Öffner um den Rand der Dose und benutzte dann die Spitze, um den Deckel aufzuklappen. Sie hob die Dose mit der einen Hand hoch, den Öffner mit der anderen und betrachtete uns feierlich. Wir begannen fröhlich zu applaudieren und riefen ihr anerkennende Worte zu. Da lächelte sie, und mir erschien es, als könnte man mit dem Strahlen dieses Lächelns eine kleine Stadt erhellen. (…)
Sie stellte die zwei Übungsdosen hin, berührte dann die beiden geschlossenen und den Dosenöffner und fragte wieder etwas. Wir bedeuteten ihr mit einer Fülle von Gesten unsere Zustimmung. Sie knotete ihr Bündel auf, gruppierte ihre Besitztümer um, verstaute die beiden Dosen und den Öffner sorgfältig und band das Bettlaken wieder zu. Ein paar Sekunden lang sah sie uns einfach nur an, dann legte sie die Hände zusammen und sprach ein paar kurze Sätze, die wir für Worte des Danks hielten. Wir lächelten, winkten, wünschten ihr viel Glück, sagten ihr, sie solle auf sich aufpassen, dann sahen wir zu, wie sie ihr Bündel auf den Kopf nahm und am Ufer entlang durch das flache Tal nach Süden ging. Bis zum heutigen Tag sehe ich vor meinem geistigen Auge das Lächeln, das sie uns schenkte, und den Anblick dieser aufrechten kleinen Gestalt, während sie sich mit dem Gang einer Prinzessin auf diesen tapferen mageren Beinen von uns entfernte.
(…) Ich stehe in der Schuld dieses Kindes, das ich an jenem Tag im Jahr 1942 traf, für das Privileg – wenn auch nur für kurze Zeit – ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, aber auch dafür, dass sie mir das Vorbild für eine Figur lieferte, über die ich inzwischen seit fast vierzig Jahren schreibe. Von Zeit zu Zeit denke ich immer noch an sie und frage mich, was wohl aus ihr geworden ist. Wenn sie noch lebt, dann muss sie jetzt etwa siebzig sein. Aber gleichgültig, wie alt sie wird, ich kann nur hoffen, dass ihr der Lohn zuteil wurde, den sie für ihren Mut und ihre Haltung verdient hätte. Ich ziehe den Hut vor ihr.
Der gesamte Text (auf Englisch) ist hier nachzulesen.
Die deutsche Übersetzung von Dr. Thomas Wörtche finden Sie hier.
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Aus einem Interview, das Simon Moss 1996 (nach dem Erscheinen des letzten Modesty Blaise Buchs ´Cobra Trap´) mit Peter O´Donnell führte:
Simon Moss: Wir sitzen hier in Ihrem Büro, und Sie arbeiten gerade am Comicstrip für den Evening Standard, aber da inzwischen ziemlich bekannt sein dürfte, dass Modesty und Willie in Cobra Trap sterben, wie viel Zukunft bleibt ihnen noch?
Peter O'Donnell: Nun ja, ich bin inzwischen sechsundsiebzig und habe das letzte Buch vor zehn Jahre geschrieben, aber ich hielt den Comicstrip am Leben und dachte die ganze Zeit darüber nach, wie Modestys und Willies Ende aussehen könnte, da ich sie nicht einfach so in der Luft hängen lassen wollte. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie ihr Leben im Altersheim beschließen und mit einer Gehstütze durch die Gegend tapern (lacht). Ich dachte, sie würden wahrscheinlich sterben, während sie etwas Bedeutsames, wenn auch vielleicht nicht gerade Weltbewegendes tun. Also versetzte ich sie 20-25 Jahre in die Zukunft, sodass Modesty ungefähr 52 ist und Willie ein paar Jahre älter, und ich schuf eine Situation, der sie nicht ausweichen konnten – ich werde die Geschichte nicht verraten! – aber Tatsache ist, sie sterben gemeinsam, unter recht annehmbaren Umständen. Ich glaube, es ist ein sehr zufriedenstellendes Ende der Saga, und nach den Reaktionen zu schließen, die ich mitbekommen habe … Ich muss zugeben, es sind viele Tränen vergossen worden, und nicht nur aus weiblichen Augen, eine Menge Jungs haben zugegeben, dass sie ein oder zwei männliche Tränen zerdrücken mussten, aber ich finde, genau so sollte es enden, und für die Leser scheint es befriedigend gewesen zu sein. Natürlich bleiben damit noch mehr als zwanzig Jahre voller Abenteuer offen. Wenn man nachrechnet – da die beiden ja diese unvergleichliche Möglichkeit haben, alle fünfzehn Jahre nur um ein Jahr zu altern – dann kommt man auf fast dreihundert Jahre Abenteuer, und das werde ich vermutlich nicht mehr erleben! (lacht)
Der gesamte Text (leider nur auf Englisch) ist hier nachzulesen.
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Aus einem Exklusivinterview von Kent Hedlundh, in dem Peter O´Donnell Fragen aus der Modesty Blaise Mailingliste beantwortete:
Peter O´Donnell: Warum ich Modesty Blaise' Augenfarbe von braun auf blau geändert habe? Oh Gott. Sie waren immer blau. Da muss sich irgendein Schwindler für mich ausgegeben und das ins Manuskript geschmuggelt haben, vermutlich auf den ersten Seiten des ersten Romans. So ein Hundling! Warten Sie, ich sehe gerade mal nach. Ah, ja – "Ihr Gesicht war ruhig und gelassen, mit hohen Wangenknochen unter dunklen, nachdenklichen Augen." Ah, das sollte natürlich DUNKELBLAUE nachdenkliche Augen heißen. Dieser Schwindler muss das "blau" einfach gestrichen haben. Puh! Hoffentlich ist das nicht öfter passiert!
Der gesamte Text (leider nur auf Englisch) ist hier nachzulesen.
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»Ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Unterhalter…«
Thomas Wörtche führte dieses Interview mit dem Autor aus Anlass der Neuausgabe der Modesty-Blaise-Romane im Unionsverlag
TW: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass Modesty Blaise noch heute so beliebt ist?
POD: Ich habe es immer vermieden, mir selbst eine derartige Frage zu stellen, denn wenn ich eine Antwort darauf hätte, könnte es mich in Versuchung führen, diesen bestimmten Bestandteil in jede Geschichte einzubauen, und das würde den natürlichen Fluss der Erzählung und der Dialoge stören. Aber jetzt, da ich nicht mehr schreibe, kann es nicht schaden, über diese Frage zu nachzudenken, und dabei stelle ich fest, dass es keinen einzigen benennbaren Grund dafür gibt, warum Modesty und Willie noch immer beliebt sind. So wie sich ein Bild aus hunderten von kleinen Pinselstrichen zusammensetzt, so entsteht eine literarische Figur aus hunderten kleiner Momente, aus Dingen, die auf bestimmte Weise getan und gesagt werden, die für sich selbst genommen kaum wahrnehmbar sind, aber sich im Kopf des Lesers zu einem Bild zusammensetzen. Es ist interessant, dass die Fans in ihren Briefen, die sie mir schicken, kaum über Kampfsportarten und Kampfszenen schreiben. Sie sprechen ausnahmslos vom Charakter, von der Persönlichkeit von Modesty und Willie. Diese Leserinnen und Lesern empfinden offensichtlich Zuneigung zu Modesty, weil so ist, wie sie ist, und dasselbe gilt für Willie. Als würden die beiden für den Leser lebendig werden, genau wie für mich, wann immer ich über die beiden schreibe oder nachdenke. Sie sind mein halbes Leben lang meine willkommenen Begleiter gewesen, und vielleicht empfinden einige der Fans dasselbe für sie wie ich.
TW: War Modesty Blaise ein Produkt des Zeitgeistes der Sechzigerjahre – basierend auf einer Analyse ebendieses Zeitgeistes –, oder ist sie einfach eine Persönlichkeit in ihrer Zeit?
POD: Als ich mit Modesty Blaise angefangen habe, habe ich keine Rücksicht auf irgendeinen Zeitgeist oder feministische Ideen genommen. Ich wollte einfach Geschichten über eine Heldin schreiben, die es mit jedem männlichen Helden auf seinem Gebiet aufnehmen kann. Das ist alles. Ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Unterhalter, kein Philosoph, und ich habe keine Botschaft an die Welt. Ich erzähle keine Geschichten, indem ich wohlbemessene Bestandteile zusammenmixe. Ich erzähle sie einfach so, wie sie zu mir kommen.
Das gesamte Interview finden Sie hier.
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