Modesty Blaise wurde in die Welt des Kalten Krieges hineingeboren, ein ganz auf sich allein gestelltes Flüchtlingskind in den Nachkriegswirren auf dem Balkan.
Mit dem alten und gebrechlichen Professor Lob, auch ein Entwurzelter, den sie unter ihre Fittiche genommen hat (sie ist ja schon fast zwölf!), und der seinerseits seinen Wissensschatz mit ihr teilt und ihr eine Art Erziehung engedeihen lässt, zieht sie durch den nahen und mittleren Osten und Nordafrika bis nach Tanger.
Nach Lobs Tod – Modesty ist inzwischen sechzehn – arbeitet sie für eine kleine kriminelle Gruppe in deren Spielcasino. Als deren Anführer in einem Bandenkrieg getötet wird, hält Modesty die Gruppe zusammen, wird ihre Anführerin und baut sie mit der Zeit zu einer internationalen kriminellen Organisation aus, dem Netzwerk.
Willie Garvin lernt sie kennen, als er einen Thai-Boxkampf in Saigon gewinnt, aber unmittelbar danach verhaftet wird. Sie erkennt die abgrundtiefe Verzweiflung und Erschöpfung in seiner Miene, und doch wirft er ihr ein müdes, resigniertes Lächeln zu, als er ihren Blick bemerkt. Sie holt ihn gegen Kaution aus dem Gefängnis.
"Es heißt, dass Sie eine gefährlich Ratte sind, Willie Garvin. Für Ratten habe ich keine Verwendung, aber ich habe das Gefühl, dass in Ihnen auch ein guter Mann steckt. Wenn Sie für mich arbeiten, bekommt er vielleicht eine Chance." Sie zog ein Bündel Geldscheine aus ihrer Tasche und gab es ihm. "Kaufen Sie sich etwas Anständiges zum Anziehen, und dann kommen Sie morgen früh um zehn ins Amarin Hotel in der Ploenchit Road." Willie Garvin sah ihr nach, während sie davonging, wie betäubt von Empfindungen, die ihm völlig fremd waren. Es erschien ihm, als wäre seine ganze Welt plötzlich auf den Kopf gestellt worden. Er hatte viele Frauen gekannt, viele Sorten von Frauen, aber noch nie eine wie diese, der gegenüber er sich trotz ihrer Jugend wie ein linkischer Halbwüchsiger vorkam, und für die er alles getan hätte, nur für ein anerkennendes Lächeln. Während er ihr nachblickte, keimte ein tiefes und beinahe schmerzhaftes Verlangen in ihm, und doch enthielt es kein Element sexuelles Begehrens. Das war seltsam, denn sie sah umwerfend gut aus, hatte einen prächtigen Körper und diese besondere Geschmeidigkeit, die von außergewöhnlicher physischer Leistungsfähigkeit zeugt.
Man fragt sich, ob ihr Verhältnis zueinander nicht eine andere Art von Leidenschaft verbirgt. Sie erzählen allen Leuten, dass sie lediglich Freunde und kein Liebespaar sind, und glauben auch selbst daran. Beide haben anscheinend immer wieder mehr oder weniger langfristige Beziehungen mit anderen. (...) Aber: Modesty und Willie sind untrennbare Gefährten, die zusammenbleiben, während ihre Liebhaber kommen und gehen, und ihre große Zuneigung, vielleicht sogar Abhängigkeit, ist immer ganz offensichtlich. So liegt es nahe, dass die Art ihrer Beziehung gelegentlich in Frage gestellt wird. (...)
Am Ende von 'The Red Gryphon' erzählt Modesty Willie, dass ein Millionär sich für sie interessiert und fragt ihn: "Bist du nicht eifersüchtig?" Garvin erwidert: "Prinzessin … ich werde erst eifersüchtig, wenn du anfängst, seine Schusswunden zusammenzuflicken." (...)
Maude Tiller, die ihrerseits an Willie interessiert ist, fragt Modesty: "Bist nicht eigentlich du seine Freundin?" Blaise antwortet: "Ich war mal sein Boss, aber ich weiß nicht, wie man uns heute beschreiben könnte – vielleicht haben wir uns einfach aneinander gewöhnt." Fragt Maude rhetorisch zurück: "Wie ans Atmen, zum Beispiel?" (...)
Machen Blaise und Garvin sich selbst etwas vor, was die wahre Natur ihrer "Freundschaft" angeht? Glaubt O'Donnell, dass eine nichtsexuelle Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau irgendwie besser ist, als eine sexuelle, und erwartet deshalb von uns, dass wir das Verhältnis zwischen Blaise und Garvin für bare Münze nehmen? Oder sind verschiedene Charaktere in den Comicstrips, von mir selbst ganz zu schweigen, einfach zu engstirnig, um glauben zu können, dass so intensive Gefühle zwischen einem Mann und einer Frau ohne eine sexuelle Dimension existieren können? Wie die Antwort auch lautet, es ist wesentlich festzustellen, welche Folgen es für die Serie hat, die Verbindung zwischen den Helden zumindest scheinbar zu einer rein freundschaftlichen zu machen.
Wenn das Verhältnis eindeutig sexueller Natur wäre, könnten die Leser einen zu großen Teil der Gefühle des Paares füreinander auf ihre physische Anziehungskraft zurückführen. Indem er diesen Faktor eliminiert, bringt O'Donnell den Leser dazu, nach anderen Gründen zu suchen, warum Menschen einander etwas bedeuten, angefangen von der Wertschätzung der Intelligenz und Talente des anderen, bis – in Willies Fall – zu Dankbarkeit für die Wiederherstellung seiner Selbstachtung und dafür, dass sein Leben einen Sinn bekam.
Vielleicht ist der beeindruckendste Aspekt an Modesty Blaise die Art, wie die Serie Zeugnis für die Tiefe und Stärke der Beziehung ablegt, die zwischen zwei Menschen entstehen kann.
Peter Sanderson in: Comics Feature Nr. 3, 1980
Aus Panel 18, La Machine Ein Daimler SP 250 Baujahr 1963
Es ist schon oft versucht worden, aus den in Comics und Romanen enthaltenen Informationen eine Art Lebensgeschichte der Modesty Blaise zusammenzuzimmern – ohne großen Erfolg. Das Problem liegt zum Teil darin, dass die Protagonisten (wie Peter O'Donnell einmal sagte) alle sechzehn Jahre nur um ein Jahr älter werden. Aber natürlich hat sich in diesen sechzehn Jahren die Welt des Lesers verändert. Besonders gut lässt sich das an den Autos in den Comics ablesen. In der ersten Folge, La Machine, fährt Modesty – standesgemäß – einen Daimler SP 250 'Dart' Raodster mit 2,5 Liter V-8 Motor, heute ein gesuchtes Sammlerstück, das nur 2500 mal gebaut wurde.
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